Auf dem Rückzug
Cartoon: Rainer Hachfeld


Am Anfang wurde die Ampelkoalition von Rassisten und Querdenkern angegriffen, dann gesellten sich konservative Medien, Dystopien anhängende Blogger und Politiker aus den C-Parteien zur rechtspopulistischen Fronde. Damals konnten Scholz, Habeck & Co noch kontern, ihre Opponenten würden globale Kernthemen wie Klimawandel, Menschenrechte oder Friedenspolitik nicht ernst nehmen oder zumindest keinerlei eigene Vorschläge dazu entwickeln. Gut zwei Jahre später fragen sich Forscher, NGOs und aktive Bürger, ob nicht das Berliner Kabinett selbst inzwischen die wichtigsten Vorhaben vergessen hat bzw. entschlossen ist, sie rigoros in die Tonne zu treten.


Fossiler Boom in Übersee?


Selbst Sympathisanten des Parteien-Trios aus SPD, Grünen und FDP schütteln angesichts des täppischen Erscheinungsbilds, der amateurhaften Kommunikation nach außen und der handwerklichen Fehler dieser Regierung die müden Häupter. Doch greift derart formale Kritik zu kurz, bleibt allzu bequem an der Oberfläche: Beängstigend ist die Geschwindigkeit, mit der sich vor allem das grüne und sozialdemokratische Spitzenpersonal von einst essenziellen Inhalten verabschiedet, um einen schwer verständlichen Rückzug in jene Kohl- und Schröder-Zeiten durchzuführen, in denen der Zweck jedes statuserhaltende Mittel heiligte. Anmerkung am Rand: Die Liberalen haben von vornherein auf Inhalte verzichtet, um sich in ihrer Marktfetischisierung nicht von der Realität ablenken zu lassen.


Um zu erkunden, ob es sich bei der Abkehr von (einst) nicht verhandelbaren Prinzipien, Maßnahmen und Zukunftsplänen um eine rätselhafte Amnesie, also ein krankhaftes Versagen von Erinnerungsvermögen, das mit dem Verlust des Verantwortungsbewusstseins einhergeht, oder um schiere Skrupellosigkeit zur Sicherung der Macht handelt, wollen wir uns ein Beispiel für besonders jähe Kehrtwendungen näher ansehen, das uns in die Südstaaten der USA führt.


In Louisiana, wo der Mississippi über ein weites Delta in den Golf von Mexiko mündet, sollte CP2, das größte von zwölf geplanten Exportterminals für Flüssiggas (Liquified Natural Gas, kurz: LNG), entstehen, obwohl das sensible Öko-System, etwa durch Meeresverschmutzung, und das Festland durch Bodenerosion erheblich geschädigt sind. Allein von hier würden 65 Millionen Tonnen des fossilen Energieträgers, größtenteils durch Fracking gefördert, ausgeführt werden – gut zwei Drittel davon nach Westeuropa, das sich durch Putins Krieg weitgehend von kommodem Nachschub abgeschnitten sieht. Um die Dimension einschätzen zu können: Im vergangenen Jahr verschifften die gesamten USA lediglich 86 Millionen Tonnen, avancierten aber damit schon zum weltweit größten Flüssiggasexporteur vor Katar und Australien. Jetzt aber hat Präsident Biden den Bau der Terminals einstweilen gestoppt. Das Moratorium soll für umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen zu möglichen Umweltschäden genutzt werden.


Beim Fracking werden giftige Chemikalien in den Untergrund gepresst, was das Grundwasser und die Statik ganzer Regionen bedrohen kann, zudem wird das gefährliche Methan freigesetzt. Viele Experten halten durch diese Methode gewonnenes Gas für umweltschädlicher als Kohle. So verwundert es nicht, dass Naturschützer gegen die Genehmigung des CP2 Sturm gelaufen waren und darüber hinaus darauf verwiesen hatten, dass die Terminals vor allem in Armutsgebieten mit nicht-weißer Bevölkerung gebaut würden. Aber auch 60 demokratische Kongressabgeordnete hatten von Präsident Biden ein Veto gefordert, da er auch wegen seiner Ankündigungen eines energischen Kampfes gegen den Klimawandel und des Endes der fossilen Energien gewählt worden war; dazu kommt noch, dass die USA das Fracking-Gas gar nicht benötigen, weil sie ihren Bedarf problemlos mit klassischer Förderung decken können.


Deutsche Umweltschutzorganisationen forderten inzwischen Kanzler Scholz auf, Bidens Vorbild zu folgen. Und die Nord- und Ostsee-Anwohner an den Küsten sowie auf den Inseln wollen nicht mehr dulden, dass schwimmende Terminals und in Planung befindliche Hafenanlagen zum Löschen des US-Gases das ökologische Gleichgewicht bedrohen. Weitere Bauvorhaben, so argumentieren sie, seien nach Bidens Entscheidung schon Industrieruinen, bevor sie fertiggestellt wären.


Hauptsache nicht bei uns


Aus der EU – vor allem aus Deutschland, das zu den größten Abnehmern von US-Flüssiggas zählen würde – bläst den Umweltschützern allerdings Gegenwind ins Gesicht: Das hiesige Unternehmen SEFE, besser unter seinem früheren Namen Gazprom Germania bekannt, erklärt in einem Schreiben an die US-Administration geradezu apodiktisch, das Terminal CP2 sei „für die Energiesicherheit Deutschlands lebensnotwendig“. SEFE befindet sich übrigens im Besitz der Bundesrepublik, was bedeutet, dass die Berliner Regierung, die sich gern auf Weltklimakonferenzen die Vorbildfunktion anmaßt, nach all den Versäumnissen beim Ausbau der alternativen Energie, der Leitungswege und Speicherkapazitäten hierzulande die Drecksarbeit über ihren Staatskonzern nach Nordamerika zu delegieren versucht.


Gemeinsam mit der US-Erdgasindustrie, die natürlich glänzende Profitchancen wittert, bearbeiteten also Bundeskanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck, die sich die Klimarettung aufs Ampel-Panier geschrieben haben, via SEFE die Behörden in Washington, doch bitteschön kleinliche Umweltbedenken fallenzulassen, um Deutschland mit einem Stoff zu beliefern, den es selbst nicht herstellen darf. In den meisten Staaten Europas, so auch hierzulande, ist Fracking nämlich wegen seiner unabsehbaren Folgen verboten. Somit sollte man mit dem Enderzeugnis eigentlich auch nicht dealen. Zynisch gedacht, müsste die Ampel nun auf einen Wahlsieg Trumps hoffen, denn für den existieren weder Klimawandel noch Umweltschutz.


Nun ist dies nicht der erste Berliner Versuch, der eigenen, anfangs stolz ausposaunten Umwelt-Ethik eine längere Narkose zu verpassen: In Argentinien regte Olaf Scholz Erdgaslieferungen an, obwohl die Vorkommen in einer Gegend liegen, die seit dem Beginn der Fracking-Arbeiten bereits 40 Erdstöße verzeichnete. In Afrika wiederum wurden Staaten, die kurz zuvor von deutschen Politikern aufgefordert worden waren, die Ausbeutung fossiler Bodenschätze durch den Ausbau erneuerbarer Energien zu ersetzen, plötzlich dazu gedrängt, neue Gasfelder zu erschließen. Und der Kotau von Robert Habeck vor dem Energieminister von Katar ist noch in voller Peinlichkeit erinnerlich; um an den Stoff zu kommen, darf man sich offenbar auch Autokraten gegenüber von der servilen Seite zeigen.


Wie es uns gefällt


Das hat sich offenbar auch Außenministerin Baerbock gedacht, als sie diversen westafrikanischen Putschisten und Militärregimes deutsche Expeditionstruppen wie sauer Bier anpries, um die gescheiterte Sahel-Mission der Bundeswehr wenigstens in Einzelteilen zu verlängern. Doch zurück zum Ampel-Veitstanz ums flüssige Gas.






























Wo einst bei Henri Matisse noch holde Maiden um den grünen Hügel hüpften, umtanzt jetzt das trio infernale der Bundesregierung den Flüssiggas-Tank. 


Dass die Ampel öffentlich fossile Rohstoffe in die Giftkammer der Energieversorgung verbannt, sie aber klammheimlich überall einkauft, belegt nicht nur die Scheinheiligkeit, mit der weiterhin der Anspruch, Klassenprimus beim Klimaschutz zu sein, gegen alle Fakten aufrecht erhalten werden soll, es zeugt auch von sehr naivem Denken. Der Schmutz, der bei Förderung und Transport von Öl oder Gas anfällt, wird dann zwar in der Bilanz des Herkunftsstaats auftauchen und nicht in der Deutschlands, in der Wirkung aber wird er weltweit und unterschiedslos für Schaden sorgen. Die Atmosphäre kennt keine Landesgrenzen.


Wenn wir unsere Diesel-Dreckschleudern stilllegen, macht das nur Sinn, wenn wir sie dauerhaft entsorgen. Verscherbeln wir sie aber nach Afrika oder in den Nahen Osten, kommen die CO2- und Feinstaubpartikel zu uns zurück – spätestens, wenn sie das globale Klima „regulieren“. Ähnliches gilt für die Giftmüllsubstanzen, die wir gern auf Kippen in der Dritten Welt deponieren, nur um sie im Wasser oder in Nahrungsmitteln irgendwann wieder anzutreffen.


Noch vor zweieinhalb Jahren hatten viele Wähler geglaubt, die Grünen wüssten das, und die SPD könne es noch lernen…


02/2024


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Gas- und Waffenmakler (2023) und Klassenprimus? (2021) im Archiv der Rubrik Politik und Abgrund