Boom auf Rechtsaußen

Cartoon: Rainer Hachfeld


Die AfD ging lange Zeit davon aus, dass sie das völkisch-nationalistische Wählerreservoir in Deutschland weitgehend allein ausschöpfen könne. Doch nicht nur die führenden Köpfe der Christen-Union wie Merz und Söder tätigen inzwischen inhaltliche Anleihen bei ihr, auch die Ampel adaptiert einschlägige Asylrechtsklitterungen, und im ultra-rechten Spektrum tummeln sich mittlerweile unerwartete Konkurrenten. Nun aber scheint Weidel, Höcke & Co unversehens ein besonders bizarrer Rivale zu erwachsen, der doch eher zum Freundeskreis gerechnet wurde: Der frühere Verfassungsschutzpräsident Maaßen plant die Gründung einer weiteren bräunlichen Retro-Partei.


Prädestiniert für die Verschwörungsszene


Dass die Laufbahn von Hans-Georg Maaßen als oberster Verfassungsschützer der Nation (2012 bis 2018) von Pannen, verbalen Ausrutschern und höchst fragwürdigen Einschätzungen gekennzeichnet war, würden wohl die meisten Experten und Publizisten bejahen. Nach eigenem Empfinden aber ist er sich nur als Rechtskonservativer mit viel Phantasie und klaren Feindbildern auch im Amt treu geblieben – bis selbst für eine Regierung Merkel Maaßens Maß voll war.


Im November 2018 wurde er in den einstweiligen Ruhestand versetzt, nachdem sein Kerbholz offenbar keinen Platz für weitere Schnitzer mehr aufwies. Bereits 2013 geriet er nach Edward Snowdens Enthüllungen in die Bredouille, als die SZ einen Artikel veröffentlichte, demzufolge der größte US-Auslandsgeheimdienst NSA nicht nur durch eigene Alliierten-Ausspähung an Interna aus Berlin kam – Maßens Amt hatte den Big Brothers in Übersee aus freien Stücken fortlaufend vertrauliche Daten geliefert.


Dass gerichtliche Verbotsanträge gegen die NPD schon im Vorfeld daran scheiterten, dass eingeschleuste V-Leute der VS-Ämter selbst maßgeblich an Programmen der Partei mitgewirkt hatten, wirkt wie ein skurriler Lapsus, wenn man außer Acht lässt, was der oberste Staatsschützer im Laufe der Zeit so alles an Rechtsgestricktem und Migrantenfeindlichem von sich gegeben hat.


Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche antwortete Maaßen im Januar 2017 auf eine parlamentarische Anfrage, im Umfeld des Attentäters Anis Amri sei kein V-Mann seines Dienstes platziert gewesen. Dies entsprach nicht der Wahrheit; ob die Tat, der dreizehn Menschen zum Opfer fielen, zu verhindern gewesen wäre, konnte auch deshalb nie geklärt werden.
Kurz vor seinem Ausscheiden als VS-Präsident bezweifelte Maaßen gegenüber BILD, dass es während der Ausschreitungen in Chemnitz zu Hetzjagden auf ausländisch aussehende Menschen gekommen sei. Von einem Handy-Video, das eben diese Szenen dokumentierte, behauptete er, es läge kein Beleg für die Authentizität der Aufnahmen vor. Dem widersprach die Generalstaatsanwaltschaft Dresden, man habe „keine Anhaltspunkte dafür, dass das Video ein Fake sein könnte“.


Im aufgezwungenen Ruhestand legte Hans-Georg Maaßen dann erst richtig los: Die Grünen seien „die gefährlichste Partei im Bundestag“, fabulierte er, da sie eine „neosozialistische oder ökosozialistische Politik“ verträten (womit er den einst Aufmüpfigen, die längst im gutbürgerlichen Lager angekommen waren, bitteres Unrecht zufügte). In erzreaktionären Blättern wie Cato oder Telos beschwor Maaßen den gesellschaftlichen Niedergang, der einen Kampf zwischen der Unterschicht und Einwanderungsclans verursache.


Auf der YouTube-Plattform Hallo Meinung des weit rechts positionierten fränkischen Unternehmers Peter Weber (s. u. Das große Einknicken im Archiv von walter-view) erklärte er mit Blick auf die Klimakrise und die Gegenmaßnahmen hierzulande: „Wir haben es schon zweimal versucht, die Welt zu retten, und es ist jedes Mal schiefgegangen.“ Damit verglich er einerseits Umweltaktivisten mit den deutschen Kriegstreibern Wilhelm II. und Adolf Hitler – und  attestierte gleichzeitig letzteren, sich als Rettungskräfte statt als Massenmörder betätigt zu haben.


Mit der Werteunion an die Wahlfront?


Trotz seiner chauvinistisch-populistischen Tiraden ließ die CDU Maaßen nicht fallen und stellte ihn 2021 als Direktkandidaten für den Bundestag im südthüringischen Wahlkreis Suhl auf, wo er prompt durchfiel. Als er allerdings gar zu lautstark seine guten Beziehungen zur AfD feierte, die ohnehin niedrige „Brandmauer“ der Union gegen Höckes Extremisten für sich selbst nicht gelten ließ sowie nach peinlichen Auftritten als Leugner des Klimawandels und Migrationsgegner auf einer Konferenz in Ungarn, bei der auch Donald Trump zugeschaltet war, freundschaftliche Kontakte zu rechtsradikalen Parteien aus aller Welt aufnahm, wollte ihn die christdemokratische Führungsriege loswerden, scheiterte aber an juristischen Hürden.


Das Problem könnte sich jetzt in Wohlgefallen auflösen, denn Maaßen möchte einen eigenen Wahlverein aus der Taufe heben. „Die Partei könnte bereits bei den anstehenden ostdeutschen Landtagswahlen antreten und würde mit allen Parteien zusammenarbeiten, die diese Programmatik unterstützen und die zu einer Politikwende bereit sind“, teilte er der dpa mit. Angesprochen ist dabei in erster Linie die AfD, die sein ewiggestriges Weltbild weitgehend teilt und deren Inhalte denen der von ihm seit vorigem Jahr angeführten Werteunion ähneln. Diese Gruppierung wurde 2017 als nationalistische Vorhut am Rand der CDU gegründet und durfte auf prominente Rechtsradikale wie Hinrich Rohborn, Redakteur bei der berüchtigten Jungen Freiheit, sowie Max Otte, illustrer Wanderer zwischen AfD und Union, zählen.



Endlich zeigt sich, mit welch monströsem Wechselbalg der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen schwanger geht! 


Jetzt will Maaßen seinen Klub zur Partei umwidmen, möglichst den Namen Werteunion hinüberretten, der CDU im Osten ein paar Verluste bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im nächsten September zufügen und sich dann im (für ihn) besten Fall der AfD als Koalitionspartner anbieten. Wenn seine Schar denn die organisatorischen Voraussetzungen für die Teilnahme an den Urnengängen erfüllt…


Viel Gedrängel am rechten Ufer


Es hat sich in relativ kurzer Zeit einiges geändert in der bundesdeutschen Parteienlandschaft, vor allem am nationalkonservativen bis rechtsextremen Rand, der enormen Zulauf aus weiten Teilen der Gesellschaft erfährt. In den letzten gut fünfzig Jahren dominierte dort immer eine einzige Partei, fuhr überraschende Erfolge ein und verschwand dann wieder weitgehend in der Versenkung. So geschah es mit von Thaddens NPD, Schönhubers Republikanern und Freys DVU. Die AFD hingegen begann als neoliberale Wirtschaftspartei und wurde von Chauvinisten gekapert. Ihr gelang es anscheinend, die Ressentiments in der Bevölkerung dauerhaft zu befeuern – sie scheint gekommen, um zu bleiben.


Nun aber wollen andere auf dem gleichen Sudelfeld ernten. Hubert Aiwanger hat seine Freien Wähler, die fast überall im Bund bereits Parteistrukturen aufgebaut haben, zur rechts-populistischen Speerspitze für Bauern, Waldbesitzer und frustrierte Beamte hochgerüstet. Der glück- und talentlose Hans-Georg Maaßen wird – vermutlich wieder ohne Fortune – Ähnliches mit seiner Werteunion versuchen. Und Sahra Wagenknecht gibt sich zwar sozialpolitisch eher links, wildert aber in der Flüchtlingsproblematik sowie bei Fragen des Umweltschutzes und der kulturellen Toleranz im Unterholz überkommener, aber hartnäckiger Wählerinstinkte.


Man/frau könnte sich eigentlich angesichts des unerwarteten Konkurrenzkampfes auf Rechtsaußen zurücklehnen und darauf hoffen, dass der AfD ein paar Prozentpunkte weggenommen werden, doch sollten wir uns nicht täuschen. Im Zweifelsfall wählen die rechten Bürger das Original, nicht die Epigonen. Eher müssen wir traurig und höchst besorgt sein angesichts des riesigen Wählerpotenzials, aus dem dumpfe Hetzer und geschickte Demagogen sich hierzulande bedienen können.
01/2024


Dazu auch:


Das große Einknicken im Archiv der Rubrik Politik und Abgrund (2019)


Der fünffache Maaßen im Archiv der Rubrik Helden unserer Zeit (2018)